Bist du allmächtig?
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Es war der erste Tag der Offenen Tür im Himmel,und die Menschen standen Schlange, wie die Kinder zur Weihnachtszeit in den Kaufhäusern. Jeder Mensch durfte Gott auf den Schoß klettern und ihm Fragen stellen. Der erste Mensch, der in der Schlange stand, war auch der erste, der auf Gottes Schoß durfte, was eigentlich auch sehr logisch und einleuchtent klingt, doch bei Gott ist so etwas nicht selbstverständlich. Genauso gut hätte der letzte der erste sein können, oder der 327-ste oder der siebte Wurzel aus Pi-te. Aber in diesem Fall war der erste in der Schlange auch der erste auf Gottes Schoß.
Gott begrüste den ersten Menschen mit: "Na mein Sohn" und stupste ihn mit dem Finger in den Bauch.
Der Mensch starrte Gott nur mit großen Augen an und lächelte verlegen.
"Hast du Lust mir ne' Frage zu stellen?" fragte Gott.
Der Mensch nickte eifrig.
Gott wollte sein Geschöpf nicht unter Druck setzen, und da die Zeit im Himmel sowieso keine Rolle spielte drängelte er auch nicht, sondern sah den Menschen einfach nur freundlich, interessiert und abwartend an.
"Du Gott!" fing der Mensch nach einer Weile an. "Du Gott, bist du eigentlich wirklich allmächtig?"
"Allmächtig?" erwiderte Gott etwas verdutzt. "Na, mit so einer Frage hab ich ja überhaupt nicht gerechnet! Ich dachte ich würde gefragt, wie ich es geschafft Habe das eine Hummel trotz ihres Verhältnis von Flügeln zum Körper fliegen kann, wie Noah es geschafft hat auch ein Paar Pottwale, Blauwale und Buckelwale in der Arche unterzubringen, warum die Dinos ausgestorben sind, wer JFK ermordet hat, wann Elvis wirklich gestorben ist oder wie ich auf die Idee gekommen bin, daß sich Mensch auf einer Art und Weise fortpflanzen sollen, die so viel Spaß macht, warum ich den Baum der Erkenntnis in der Mitte des Garten Edens gestellt habe, so daß die Mensch von ihm essen konnten, obwohl sie dies nicht sollten, warum Kalorienbomben so gut schmecken oder welches Tier am lautesten pupsen kann. Doch du willst wissen, ob ich allmächtig bin."
"Ja!" sagte der Mensch und dachte zugleich, daß er eigentlich doch lieber wissen würde, welches Tier am lautesten pupsen kann. Doch er hatte immer gedacht, daß man solch eine vulgäre Frage auf keinen Fall Gott stellen dürfte, da dieser doch zu heilig für so etwas ist.
"Was verstehst du denn unter allmächtig?" fragte Gott.
"Nun, ich meine, ob du alles machen kannst?"
"Ob ich alles machen kann?" gab Gott noch immer etwas verwirrt von sich. "Aber ich hab doch schon alles gemacht. Wie zum Beispiel dich. Ich habe deinen Körper gemacht und dein Herz, deinen Verstand, Seele und Geist. Jedes Atom in dir und auch die noch winzigeren Bausteine, die ihr Menschen immer noch nicht entdeckt habt, habe ich erschaffen. Die Welt, ja das ganze All habe ich doch gemacht."
"Ja! Aber kannst du noch mehr machen?"
"Noch mehr?" fragte Gott und überlegte laut: "Ich könnte natürlich noch ein zweites Universum erschaffen, doch wozu? Es gibt doch schon eins, und das reicht doch."
"Nee! Das mein ich auch gar nicht." unterbrach ihn der Mensch.
"Was meinst du denn dann?"
"Ich würde gerne wissen, ob du einen Felsen erschaffen kannst, der so schwer ist, daß selbst du ihn nicht mehr hochheben kannst." erklärte der Mensch seine Frage.
"Hä! Das ist aber ne komische Frage. Warum sollte ich denn einen Felsen so schwer machen, daß ich ihn nicht mehr hochheben kann? Und was ist, wenn der Fels irgendwann jemandem im Weg wäre? Wer sollte den Felsen dann woanders hinstellen? Und wo sollte ich den Felsen überhaupt erschaffen? Auf der Erde oder auf dem Mond? Oder auf einen ganz anderen Planeten? Das Gewicht eines Gegenstandes ist ja eine Kraft, die von der Gravitation bzw. Erdanziehungskraft abhängt. Ein Gegenstand, der auf der Erde sehr schwer ist, ist auf dem Mond wesentlich leichter und wiegt in der Schwerelosigkeit des Weltalls überhaupt nichts. Was ich dir versichern kann, ist daß meine Kraft grösser ist als alle anderen Kräfte zusammen, und daß ich nie versuchen werde etwas zu erschaffen, was meine eigenen Kräfte übersteigt, denn das wäre total sinnlos."
"Und du hast noch nie etwas total sinnloses gemacht?" fragte der Mensch.
"Wie zum Beispiel mich vollgefressen um mir dann anschließend den Finger in den Hals zu steckt und alles wieder auszukotzen? Oder mich sinnlos auf einer Party besoffen, so daß ich am nächsten Morgen einen höllischen Kater hatte und mich an nichts auf der Party mehr erinnern konnte?"
"Zum Beispiel."
"Nein! So etwas habe ich noch nie gemacht. Aber auch wenn das Saufen des Säufers und das Frässen und Kotzen einer Bulemikerin für die meisten anderen keinen Sinn ergibt, so sehen sie selber doch einen Sinn in ihrem Handeln. Doch irgendwann werden sie im Rückblick erkennen, daß es wirklich sinnlos war. Was ich mache scheint für euch Menschen meistens auch sehr sinnlos, doch irgendwann werdet ihr eine neü Perspektive bekommen und ihr seid dann fähig den Sinn zu erkennen."
Der Mensch dachte eine kurze Weile nach und gab dann kleinlaut von sich: "Es macht wohl auch keinen Sinn dich zu fragen, ob du allwissend bist!"
"Nun, ich sag mal so," antwortete Gott: "auf jede frage, die ich mir selber Stelle hab ich eine Antwort. Doch Fragen, dessen Beantwortung überflüssig wären, stelle ich mir gar nicht erst. Aber Fakt ist, daß niemand mehr weiß als ich!"
Ziemlich betrübt senkte der Mensch seinen Kopf, und fing an von Gottes Schoß herunter zu klettern und sagte dabei zu sich selber: "Na toll, da sehÔ ich das erste mal meinen Schöpfer von Angesicht zu Angesicht, und das einzige was ich mache ist ihm sinnlose Fragen zu stellen."
"Na, jetzt bist du aber etwas hart mit dir." versuchte Gott den Menschen aufzubauen. "Als du vorhin auf meinen Schoß geklettert bist, gattest du da das Bedürfnis zu wissen, ob ich einen Felsen erschaffen könnte, der so schwer ist, daß nicht mal ich ihn mehr heben könnte? Und hat es dich interessiert, ob ich auch auf sinnlose Fragen eine Antwort habe?"
"Ja!" sagte der Mensch "vorhin wollte ich es wissen."
"Und hast du immer noch das Bedürfnis es zu wissen?" fragte Gott weiter nach.
"Nee! Jetzt ist es mir eigentlich egal."
"Na siehst du," sagte Gott lächelt mit einem Zwinkern in den Augen, "dein Wissensdurst wurde also gestillt, und das ist doch der Sinn einer Frage."
Der Mensch nickte zustimmend.
"Siehst du, eigentlich, wie alle anderen Menschen, die hinter dir in der Schlange standen, auf einmal ganz unruhig sind?" fragte Gott den Mensch. "Sie wollten mir alle die gleichen Fragen wie du stellen, und überlegen sich jetzt, was sie mich stattdessen fragen können."
Der Mensch kam sich nicht mehr so blöd vor, und während er hinter die Absperrung ging, um dort stehen zu bleiben, um Gottes Antworten auf die Fragen der anderen Menschen zu hören erzählte dieser noch: "Übrigens, das Tier, das am lautesten pupsen kann ist der Quetschopotscho. Es ist ein winziger Halbaffe, der überaus flink ist. Die überflüssigen Gase im Magen und im Darm drückt er mit einer solchen Geschwindigkeit aus seinem Körper, daß dabei die Schallmauer durchbrochen wird, was natürlich ziemlich laut ist."
Der erste Tag der offenen Tür im Himmel war ein voller Erfolg. Keiner ging, bevor der letzte seine Frage gestellt hatte, denn es war total spannend und unterhaltend. Es wurde viel gestaunt und gelacht.
Als 2-ter durfte übrigens der 327-ste in in der Schlange seine Frage stellen. Er hatte sich als 2-ter auf den Weg zum Tag der Offenen Tür gemacht, doch da er ein gebrochenes Bein hat und nur auf Krücken humpeln konnte, standen 326 andere vor ihm in der Schlange.
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